Die Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) zählt zu den häufigsten endokrinen Erkrankungen und geht oft mit Gewichtsproblemen einher. Typische Symptome einer Hypothyreose sind unter anderem Müdigkeit, Kälteempfindlichkeit, depressive Verstimmung und insbesondere eine unerklärliche Gewichtszunahme [1].
Eine Unterfunktion der Schilddrüse verlangsamt den gesamten Stoffwechsel und kann so zu Übergewicht beitragen. Gleichzeitig sind Übergewicht und Adipositas selbst weit verbreitete Gesundheitsprobleme: Weltweit hat sich der Anteil adipöser Menschen seit 1975 laut WHO fast verdreifacht [2]. In Deutschland sind aktuell rund 53,5 % der Erwachsenen übergewichtig (BMI ≥ 25), davon etwa 19 % adipös (BMI ≥ 30) [3]. Dieser Artikel beleuchtet den Zusammenhang zwischen Hypothyreose und Übergewicht, präsentiert neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Pathophysiologie, aktuelle epidemiologische Daten aus Europa und Deutschland sowie Entwicklungen in Diagnostik und Therapie – sowohl schulmedizinisch als auch komplementärmedizinisch.
Pathophysiologie: Wie Hypothyreose das Körpergewicht beeinflusst
Ein Mangel an Schilddrüsenhormonen (Thyroxin T4 und Trijodthyronin T3) senkt den Grundumsatz und beeinflusst zahlreiche Organsysteme.
- Verlangsamter Metabolismus: Bei Schilddrüsenunterfunktion fährt der Körper den Energieverbrauch herunter. Der Ruheumsatz sinkt und der Organismus verbrennt weniger Kalorien, selbst im Ruhezustand [1].
- Verändertes Appetitverhalten: Neuere Erkenntnisse deuten darauf hin, dass niedrige Schilddrüsenhormonspiegel auch das Hunger- und Sättigungsgefühl beeinflussen können [1].
- Flüssigkeitsretention: Ein Großteil der Gewichtszunahme bei Hypothyreose entsteht nicht nur durch Fett, sondern durch Wassereinlagerungen [1].
Diese Faktoren führen oft zu einer moderaten Gewichtszunahme. Schätzungen zufolge nehmen etwa die Hälfte der unbehandelten Hypothyreose-Patient*innen an Gewicht zu – meist etwa 2 bis 5 kg. Größere Zunahmen sind möglich, insbesondere wenn der Hormonmangel über längere Zeit besteht. Wichtig zu wissen ist jedoch, dass eine massive Adipositas (z.B. >20 kg Übergewicht) sich meist nicht allein durch eine Schilddrüsenstörung erklären lässt [1].
Während eine Hypothyreose Gewichtszunahme verursachen kann, legen Studien nahe, dass Adipositas die Schilddrüsenfunktion negativ beeinflussen kann. Fettgewebe produziert entzündliche Botenstoffe, die die Schilddrüse stören könnten. Es scheint, dass sich Übergewicht und Schilddrüsenunterfunktion gegenseitig verstärken können [4].
Epidemiologie: Prävalenz von Hypothyreose und Übergewicht
Hypothyreose in Europa und Deutschland: Eine Metaanalyse beziffert die durchschnittliche Prävalenz der Hypothyreose in Europa auf etwa 3–5 % [5]. Ergänzend zeigen neuere Studien, dass die durchschnittliche Prävalenz der Hypothyreose in Europa bei etwa 3,05 % liegt, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer. In Deutschland wird die Prävalenz der Hashimoto-Thyreoiditis auf 5–10 % geschätzt [6].
Übergewicht und Adipositas: Laut RKI sind 53,5 % der Erwachsenen in Deutschland übergewichtig, davon 19 % adipös. Männer sind dabei häufiger betroffen als Frauen, und mit steigendem Alter nimmt die Prävalenz zu [3]. Etwa jeder zweite Erwachsene in Europa ist übergewichtig, rund 20 % sind adipös [2].
Zusammenspiel: Studien zeigen, dass das Metabolische Syndrom mit einem erhöhten Risiko für subklinische Hypothyreose einhergeht. Gleichzeitig weisen stark übergewichtige Personen häufiger leicht erhöhte TSH-Werte auf, auch ohne manifeste Hypothyreose [7].
Diagnose: Neue Empfehlungen und Entwicklungen
Die Diagnosestellung erfolgt primär über Labortests (TSH, fT3, fT4). Bei Verdacht auf Hypothyreose ist TSH der empfindlichste Marker [8]. Antikörper wie TPO-AK unterstützen die Diagnostik einer Hashimoto-Thyreoiditis.
Altersabhängigkeit: Neue Empfehlungen weisen darauf hin, dass TSH-Werte im Alter physiologisch ansteigen können. Bei älteren Menschen wird ein höherer TSH-Wert (>10 mU/l) teilweise toleriert, während bei Schwangeren strengere Grenzwerte gelten [9].
Therapie: Schilddrüsenhormone und Gewichtskontrolle
Die Standardtherapie ist die Substitution mit Levothyroxin (T4). Bei erfolgreicher Einstellung kann es zu einer moderaten Gewichtsabnahme kommen, meist im Bereich von 2–5 kg [1]. Ein drastischer Gewichtsverlust ist aber selten allein durch Hormongabe erreichbar.
Subklinische Hypothyreose: Bei leicht erhöhtem TSH ohne Symptome wird oft zunächst abgewartet. Erst bei TSH >10 mU/l oder symptomatischer Belastung wird eine Therapie empfohlen [8].
Kombinationspräparate mit T3 werden nicht routinemäßig empfohlen, da keine eindeutigen Vorteile belegt sind und das Risiko für Nebenwirkungen steigt [8].
Ergänzende Maßnahmen / Therapieleitfaden
Jod und Selen spielen eine wichtige Rolle in der Schilddrüsengesundheit. In Deutschland ist die Jodzufuhr rückläufig, weshalb eine ausreichende Aufnahme über jodiertes Salz und Seefisch empfohlen wird [10]. Selen kann bei Hashimoto die Antikörperspiegel senken und die Entzündung reduzieren.
Auch Vitamin D, Eisen, Zink und ggf. Myo-Inositol können unterstützend wirken – insbesondere bei Autoimmunerkrankungen oder nachgewiesenem Mangel. Folgende Mikronährstoffe und Substanzen gelten als therapeutisch bedeutsam:
- Selen: Unterstützt die Umwandlung von T4 zu T3 und wirkt entzündungshemmend.
- Zink: Unverzichtbar für die Schilddrüsenhormonproduktion sowie für das Immunsystem.
- Eisen: Beteiligt an der Synthese von Schilddrüsenhormonen; ein Mangel kann die Umwandlung von T4 zu T3 beeinträchtigen.
- Vitamin D: Hat eine immunmodulierende Funktion; niedrige Spiegel sind häufig bei Hashimoto-Thyreoiditis.
- Tyrosin: Aminosäure-Grundbaustein der Schilddrüsenhormone.
In der orthomolekularen Medizin werden diese Nährstoffe gezielt ergänzt, um eine optimale Schilddrüsenfunktion zu unterstützen und sekundäre Symptome zu lindern. Bewegung, Krafttraining und ausgewogene Ernährung sind darüber hinaus für eine langfristige Gewichtsstabilisierung unerlässlich.
Fazit
Hypothyreose kann durch eine Senkung des Grundumsatzes und Flüssigkeitsretention zu moderater Gewichtszunahme führen. Gleichzeitig beeinflusst Übergewicht über hormonelle und entzündliche Wege auch die Schilddrüsenfunktion. Eine sorgfältige Diagnostik, individuelle Therapie mit Levothyroxin und ganzheitliche Lebensstilmaßnahmen bilden die Grundlage für eine erfolgreiche Behandlung.
Quellenverzeichnis
[1] NIH: National Institute of Diabetes and Digestive and Kidney Diseases (NIDDK), 2023.
[2] WHO: Obesity and overweight – Factsheet, 2023.
[3] Robert Koch-Institut (RKI): GEDA 2019/2020-Erhebung.
[4] Longhi S. et al., European Journal of Endocrinology, 2018.
[5] Vanderpump MPJ, Lancet Diabetes Endocrinol, 2014.
[6] Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), 2022.
[7] Pearce EN et al., Thyroid, 2016.
[8] DEGAM-Leitlinie Hypothyreose, Version 2023.
[9] ATA Guidelines for the Treatment of Hypothyroidism, 2019.
[10] DGE: Referenzwerte Jod, 2021. [11] Winther KH et al., Clinical Endocrinology, 2023.